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Donnerstag, 28. März 2024
Widerspruch? Gut so!

Ich bin dafegen

Andreas Rockenbauer | 10.12.2017 | Downloads | |  Archiv

Ich komme schön langsam in ein Alter, in dem man, oft wider besseren Wissens, die Vergangenheit verklärt. Und da habe ich den Eindruck, dass es früher ein bisschen lustiger, und nicht gar so verkopft zugegangen ist. Dass es neben Schwarz und Weiß immer auch noch verbindendes Grau gegeben hat. Es mag sein, dass das einer Überprüfung nicht standhält, aber ein bisschen Irrationalität darf sein. Noch dazu, wo diese zur Natur des Menschen gehört, insofern also wiederum sehr rational ist. Und rund um Weihnachten ohnehin Saison hat...

Aber das soll jetzt nur indirekt Thema sein, vielmehr haben es mir die Überlegungen von Prof. Herbert Pietschmann zum „Umgang mit Widersprüchen und Konflikten” angetan. Er ist theoretischer Physiker, Mathematiker und promovierter Philosoph, mittlerweile 81 und sowohl geistig wie körperlich noch derart fit, dass es eine Freude ist. Außerdem ist er das, was unser aller Ziel im Alter sein sollte: Er ist nicht nur klug, sondern weise.

Pietschmann hat sich neben Quantenphysik unter anderem intensiv mit fernöstlichen Denkern beschäftigt und einen elementaren Unterschied zu unserer Art des Denkens identifiziert: Dort wird der Widerspruch nämlich als Quelle des Fortschritts angesehen und ihm gehuldigt, während man im Westen jeglichen Widerspruch scheut, wie der Teufel das Weihwasser. 

Das klingt zunächst einmal etwas befremdlich, weil wir im Allgemeinen davon ausgehen, dass entgegengesetzte Behauptungen einander ausschließen und sie zeitgleich für wahr zu halten, logischer Blödsinn ist. Was wahr ist, kann nicht falsch sein, was hell ist, nicht dunkel. In der Logik nennt man das den „Satz vom ausgeschlossenen Dritten”.

Wenn ich nicht für etwas bin, dann muss ich dagegen sein. Jede These hat ihre Antithese, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Ein „Ich bin dafegen” klingt zunächst einmal, nicht nur grammatikalisch, komisch.

Das erinnert mich an einen kurzen Dialog, den ich irgendwann einmal – in einem Film oder einem Witz – gehört habe. Da fragt ein Mann einen anderen: „Bist du ein Mann oder eine Memme?” Und der andere antwortet nach kurzem Zögern: „Eine Memme, aber ganz ne harte.” Der Witz der Antwort lebt von einem offensichtlichen Widerspruch, von der gleichzeitigen Behauptung einander ausschließender Eigenschaften.

Was hier lustig wirkt, sorgt im täglichen Leben für handfeste Streitereien: Wenn jemand die Meinung A vertritt und ein anderer die Meinung B, die beiden auf den ersten Blick jedoch das Entgegengesetzte zu bedeuten scheinen, kann nur eine davon richtig sein. Die andere muss verworfen werden. Die Entscheidung für A schließt B aus – und umgekehrt.

Pietschmann hält das für einen groben Fehler: Konflikte gehören zum Leben. Widersprüche sind seine Würze. Ob sie aber fruchtbar oder destruktiv werden, hängt davon ab, wie wir mit ihnen umgehen. Immer mehr Konflikte und Widersprüche entziehen sich dem gewohnten Entweder-Oder-Denken.

Während wir abendländischen Menschen sehr erfolgreich mit klassischen Konflikten umgehen können, finden wir uns meist hilflos, wenn Meinungen aufeinanderprallen, die beide viel Wahres enthalten. Und Widersprüche wollen wir – getreu der Forderung unserer Logik – eliminieren, weil wir sie für Fehler halten. Oft können aber gerade Widersprüche Quelle einer Entwicklung zu etwas völlig Neuem sein.”

Pietschmanns Idee ist so einfach wie genial und basiert auf der These, dass im Falle von aufeinanderprallenden Überzeugungen, sogenannte Schattenbegriffe eine versteckte, aber essenzielle Rolle spielen und – unidentifiziert – einer Lösung nachhaltig im Weg stehen. 

Dazu ein Beispiel: Nehmen wir einen verbreiteten Konflikt, bei dem die eine Seite für Toleranz plädiert, die andere jedoch nach Auseinandersetzung ruft. Pietschmann behauptet nun, dass hinter jedem der beiden Standpunkte wie erwähnt, ein – negativ besetzter – Schattenbegriff lauert: Hinter der Toleranz etwa Gleichgültigkeit und hinter der Auseinandersetzung Streit.  

Die Befürworter der einen Seite würden nun, statt sich mit der eigentlichen Position der Gegner auseinanderzusetzen, diese mit deren Schattenbegriff assoziieren. Die Vertreter der Toleranz also nicht von Auseinandersetzung als gegenüberliegender Position ausgehen, sondern vom negativ besetzteren Streit.

Und die Befürworter der Auseinandersetzung den Standpunkt der anderen Seite nicht mit Toleranz identifizieren, sondern mit Gleichgültigkeit.  Das Ergebnis: Die Unversöhnlichkeit steigt, die Fronten verhärten sich.

Die Lösung Pietschmanns sieht nun vor, dass sich beide Seiten in einem gemeinsamen Prozess zunächst einmal der Schattenbegriffe bewusst werden. Sobald von beiden Seiten erkannt wird, dass die Alternative zu Toleranz nicht Streit, sondern Auseinandersetzung ist, und die Alternative zu einer Auseinandersetzung nicht Gleichgültigkeit, sondern Toleranz, können die Gegensätze in vielen Fällen relativiert werden und es entsteht Raum für eine neue, positive Sicht auf die Dinge.

Toleranz und Auseinandersetzung stehen einander plötzlich nicht mehr diametral gegenüber, sondern können zu einer umfassenden Lösung verbunden werden, die Aspekte von beidem einschließt.

Mir ist klar, dass das eben Beschriebene nicht mehr als ein Amuse gueule (ein kleiner Appetitanreger) sein konnte. Wer sich jedoch etwas intensiver mit der Thematik auseinandersetzen möchte, dem sei das spannend zu lesende Buch „Eiris & Eirene” von Herbert Pietschmann wärmstens empfohlen. 

Hier finden Sie einen kurzen Auszug mit ein paar Erläuterungen zum eben Geschriebenen.

Im Sinne einer umfassenden Entspannung wünsche ich Ihnen ein konfliktfreies Weihnachtsgeschäft und ein paar ruhige Tage im Kreise ihrer Lieben.

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Auszug aus dem lesenswerten Buch „Eris & Eirene” von Prof. Herbert Pietschmann
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