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Donnerstag, 18. April 2024
Über die Notwendigkeit, das Schreiben machmal bleiben zu lassen

Reden wir drüber

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 10.03.2019 | |  Archiv

Es ist immer wieder erstaunlich, wie ungeschickt wir Menschen sind. Da gibt es ein geläufiges Sprichwort „Durchs Reden kommen d´Leut zam”, dessen simple Wahrheit sich immer wieder auf überraschende Art beweist, und wir tun es trotzdem nicht. Zumindest viel zu selten. Das Reden.

Besonders seit es eMail und Messenger wie WhatsApp gibt, ist Schreiben das neue Reden – mit immer wieder haarsträubenden Konsequenzen. Daran musste ich vor kurzem mehrmals denken. Etwa, nach folgendem Dialog mit meinem Website entwickelnden Computer-Nerd:

„Hast du die Zugangsdaten von K. bekommen?”

„Ich habe ihm vor Weihnachten eine eMail geschickt.”

„Und?”

„Er hat noch nicht reagiert.”

„Jetzt ist Jänner, du solltest ihn anrufen.”

„Ich gebe ihm noch bis Ende der Woche, dann schreib ich ihm eine eMail.”

„Ruf ihn an!!”

Wenig später, nach einem kurzen Telefonat(!), hatten wir die Daten.

Eine andere Geschichte ist jene von A., die viele Jahre eine liebe Freundin von mir war. Ich schätzte sie als kreativ, intelligent,emotional, begeisterungsfähig und auf eine positive Weise unbequem, weil sie fast immer anderer Meinung war. Die Gespräche mit ihr waren extrem spannend und haben mir oft neue Perspektiven aufgezeigt. Ich habe den Austausch mit A. genossen.

Aber dann kam der März 2013…

A. war stinksauer, wegen eines Online-Artikels auf elektro.at. Aber statt zum Telefon zu greifen und mir eine Chance zu geben, zu erklären, was hinter dem Bericht steckte, hat sie einen Kommentar („vorauseilender PR-Gehorsam”) online gestellt und den zuständigen Redakteur auf sehr persönliche Weise angegriffen. Zumindest unter Nennung ihres Namens. Aber so war sie.

Aber weil ich zwar die Emotion verstehen, nicht jedoch die Art und Weise billigen konnte, mit der sie ihrem Frust Luft gemacht hatte, kommentierte ich ihren Kommentar nicht weniger emotional („Hysterisch-dummer Kommentar”). Völlig gerechtfertigt – wie ich meinte.

Sie können sich denken, dass das, was aus mir heraussprudelte, auch nicht sehr fein war. Das Ergebnis: Wir haben sechs(!) Jahre lang kein Wort mehr miteinander gewechselt. Von einem Tag auf den anderen.

Vor kurzem habe ich sie spontan angerufen(!) und sie hat sich riesig gefreut. Wir haben uns auf einen Kaffee verabredet und werden – da bin ich mir sicher – vieles zu bequatschen haben. Über das Vorgefallene werden wir lachen und auch ein bisschen den Kopf schütteln beim Gedanken an unsere Blödheit. Immerhin haben wir sechs Jahre verloren und mit ihnen die vielen tollen Gespräche, die wir in dieser Zeit führen hätten können.

Das Reizvolle an asynchroner Kommunikation sind ihre auf der Hand liegenden Vorteile der zeitlichen und örtlichen Unabhängigkeit, das Gefährliche daran, dass wir ihre Nachteile oft unterschätzen: Als wir – im tiefsten Mittelalter der Telekommunikation sozusagen – noch Festnetznummern in ebensolche Apparate tippten, riefen wir eigentlich nicht Personen an, sondern Orte.

Nämlich jene, wo die jeweiligen Telefone in die Wanddosen gestöpselt waren. Das änderte sich mit der Verbreitung von Handys – Kommunkation war plötzlich vom Ort getrennt.

Seit der Verbreitung von eMail und Messengern findet zusätzlich zur Trennung vom Ort auch jene von der Zeit statt: Wann immer wir etwas loswerden wollen, können wir die Botschaft auf die Reise schicken und sie erreicht den Empfänger nicht nur an nahezu jedem beliebigen Ort, sondern er kann sich ihr genau dann widmen, wenn er gerade Zeit (und Lust) dazu hat. Das ist ausgesprochen komfortabel.

Das Problem dabei ist, dass dieser offensichtliche Komfort der asynchronen (schriftlichen) Kommunikation teuer erkauft werden muss: Erstens durch den Verzicht auf essenzielle Zusatzinformationen wie Betonung, Stimmfarbe, usw., die bei Gesprächen wesentlicher Bestandteil des Inhalts sein können.

Und zweitens durch die Unmöglichkeit, Missverständnisse noch während der unmittelbaren Interaktion zu erkennen und auszuräumen. Ersteres kann selbst durch den inflationären Einsatz von Emoticons nur unzureichend ausgeglichen werden. Und Zweiteres hat zur Folge, dass ein simples Missverständnis nicht selten eine für den Sender völlig unangemessene Antwort des Empfängers auslöst und das Unheil damit seinen Lauf nimmt.

Bereits lange Zeit vor dem ganzen technischen Schnickschnack wussten schon die Watzlawicks und Wittgensteins dieser Welt, dass Kommunikation eine vielschichtige Angelegenheit ist und unsere Sprache durch ihre Mehrdeutigkeit jede Menge Interpretationsspielraum in sich trägt.

Das bedeutet, dass Missverständnisse so gut wie vorprogrammiert sind, weil der Sinn von Worten für den Empfänger sehr leicht ein ganz anderer sein kann, als für den Sender. Dieses Manko besteht zwar auch im Gespräch, kann hier aber rasch erkannt und ausgeräumt werden.

Zu allem Übel wird bei der schriftlichen Kommunikation immer seltener überlegt ausformuliert, sondern der Inhalt stakkatomäßig und unter Verzicht auf korrekte Interpunktion auf den Kern dessen reduziert, was der Sender für das Wesentliche hält.

In diesem Zusammenhang schadet es nicht, sich die mahnenden Worte Paul Watzlawicks in Erinnerung zu rufen: „Der Empfänger [einer Botschaft] hat immer Recht.” Das bedeutet: Sobald eine Botschaft auf die Reise geschickt wurde, obliegt deren Interpretation allein dem Empfänger.

So schlug Watzlawick mit Blick auf die Verhandlungen der Supermächte im Kalten Krieg etwa vor, dass solch heiklen Gespräche regelmäßig Feedbackschleifen („Wollen Sie damit sagen, dass…”; „Erwarten Sie von mir, dass…” usw.) eingebaut werden sollten, durch die sich Sender und Empfänger inhaltsmäßig synchronisieren könnten.

So weit muss man es im Allgemeinen zum Glück nicht treiben. Es genügt, wenn man nicht vergisst, dass ein gutes Gespräch oft viel mehr wert ist als unzählige eMails, WhatsApps usw. Denn durchs Reden kommen d´Leut zsam.

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