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Donnerstag, 28. März 2024
Fehler – Die Schlauen lernen daraus, die Dummen machen keine

(Menschen-)Recht auf Vehler

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 08.04.2018 | |  Archiv

Sieht man von der Luftfahrt und – in Teilbereichen – vom Gesundheitssystem ab, kann man von einer flächendeckenden Fehlerkultur noch immer nicht sprechen. Dabei sind Fehler und das Nachdenken darüber der Stoff, aus dem der Fortschritt ist. Lesen Sie, warum der Gouverneur von Florida ein gutes Beispiel dafür ist, was sich in Zukunft ändern muss, und warum der „No blame”-Ansatz ein erster Schritt ist, aber dennoch nicht weit genug geht.

Am 15. März um die Mittagszeit krachte in der Nähe von Miami eine Fußgängerbrücke zusammen und begrub neben der darunterliegenden siebenspurige Autobahn auch sechs Menschen unter 950 Tonnen Stahl und Beton. Bezeichnend war die Reaktion von Rick Scott, dem Gouverneur von Florida, der vor laufenden TV-Kameras versprach: „Wir werden herausfinden, was passiert ist und warum das passiert ist. Und wenn jemand etwas falsch gemacht hat, dann werden wir ihn zur Rechenschaft ziehen.”

Während der erste Satz des Statements recht vernünftig klingt, gibt mir der zweite zu denken. Auch wenn er – oder vielleicht gerade weil er – einem hinlänglich bekannten Muster folgt: Der Schuldige muss bestraft werden. Zur Verteidigung von Rick Scott sei erwähnt, dass er wenigstens nicht zwingend vorausgesetzt hat, dass es einen Schuldigen geben muss. Das macht die Sache jedoch nur geringfügig besser.

Ich halte diesen Reflex, einen anonymen Verantwortlichen in den Fokus eines solchen Unglücks zu stellen, nicht nur für unangemessen, sondern für paradox, ja geradezu gefährlich, weil er damit jene, die etwas zur Aufklärung beitragen könnten, fast schon zwingt, sich in den Vertuschungsmodus zu flüchten und die Tarnkappe aufzusetzen.

Damit wird in vielen Fällen nachhaltig verhindert (oder deutlich erschwert), dass aus Fehlern gelernt werden kann und diese sich nicht wiederholen.

Dabei pflegt man in der Luftfahrt nach ein paar spektakulären Unglücksfällen in den 70er Jahren schon seit Jahrzehnten eine beispielgebende Fehlerkultur und selbst im Gesundheitsbereich hat man in der jüngeren Vergangenheit große Fortschritte gemacht. Ein Stichwort fällt dabei immer wieder: Der „No blame Approach”.

Das bedeutet, dass im Sinne einer lückenlosen und raschen Aufklärung von unerwünschten Zwischenfällen, nahezu generell auf Schuldzuweisungen verzichtet wird und damit selbst unmittelbar beteiligte Personen gefahrlos über (ihre) Fehler berichten können.

In einer Broschüre des Magistrats der Stadt Wien wird Magistratsdirektor Dr. Erich Hechtner mit folgenden Worten zitiert: „Mir ist es ein großes persönliches Anliegen, eine Unternehmenskultur zu fördern, in der es einen rationalen, unaufgeregten Umgang mit Fehlern gibt.” Wenn das dort tatsächlich so gehandhabt wird, ist das vorbildlich.

Man kann Fehler sehr technisch betrachten, etwa als „die Nichterfüllung einer festgelegten Anforderung” oder eine „verfehlte Zielerreichung”.

Fehler können aber auch als etwas akzeptiert werden, das mit dem Wesen der Menschen so untrennbar verbunden ist, wie die komplexe Sprache oder die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken. Wer nicht begreifen will, dass der Mensch das evolutionär erfolgreichste Tier dieses Planeten unter anderem auch deshalb ist, weil die Schlauen nie aufhören, Fehler zu machen, diese zu reflektieren und ihr Verhalten an die dadurch gewonnenen Erkenntnisse anzupassen, der hat Wesentliches verpasst.

Thomas Alva Edison, der Erfinder der Glühlampe, soll einmal sinngemäß geantwortet haben, als er nach den tausenden von Fehlschlägen bei der Suche nach dem richtigen Material für den Glühfaden angesprochen wurde, dass er jeden einzelnen Versuch dennoch als Erfolg verbuchte, hätte er bei jedem einzelnen doch gelernt, was eben nicht funktionierte.

Und Schispringerlegende Toni Innauer betont, dass es auch beim Schispringen unentbehrlich ist, immer wieder kleine Fehler zu machen um schließlich zu lernen, diese zu korrigieren, bevor sie gefährlich werden: „Man muss Fehler machen, um sein Sensorium zu trainieren. Dann wird man auch mutig. Sonst lernt man das Handwerk nicht.”

Besonders in komplexen Umgebungen, wo Ursache und Wirkung nicht in einer linearen und überschaubaren Beziehung zueinander stehen, bleibt Entscheidern oft nichts Anderes übrig, als Dinge auszuprobieren und sich der gewünschten Lösung erratisch zu nähern.  Fehler stehen dabei an der Tagesordnung und gehören untrennbar zum Besserwerden.

Politikern (und Managern) sei das ins Stammbuch geschrieben, die uns glauben machen wollen, dass es einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt und insgeheim dennoch oft nach dem Prinzip „trial and error” handeln (müssen). Und weil sie annehmen, nicht offen zugeben zu dürfen, dass eine Lösung gescheitert ist, halten sie anschließend stur an untauglichen Entscheidungen fest, anstatt offen zu beteuern: „Wir haben erkannt, dass wir auf diesem Weg unser Ziel nicht erreichen, lasst uns einen neuen, einen besseren Versuch wagen.”

Es ist an der Zeit, Fehler auf breiter Basis als das zu erkennen, was sie sind: Wertvolle Wegweiser Richtung Fortschritt. Das soll angesichts der Toten von Miami nicht zynisch klingen, aber einen „Schuldigen” ins Gefängnis zu sperren, macht niemanden lebendig. Die Ursache lückenlos aufzuklären, kann jedoch zukünftige Tote verhindern.

Ich halte den „No blame Approach” daher für einen ganz ausgezeichneten Ansatz, der mir jedoch nicht weit genug geht. Ich plädiere dafür, dass das Fehlermachen ein Menschenrecht wird und Ausnahmen nur bei Fahrlässigkeit gelten.

Bis dahin sollten wir zumindest unseren Partnern, Kindern, Freunden, Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden dieses Recht zugestehen, und mit Begeisterung nicht nur aus unseren eigenen Fehlern lernen, sondern auch aus jenen, aller anderen.

In diesem Sinne hätte das Statement von Rick Scott etwa so klingen können: „Wir werden herausfinden, was passiert ist und warum das passiert ist. Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass jemand fahrlässig gehandelt hat, wird das selbstverständlich strafrechtliche Konsequenzen haben. Aber in erster Linie müssen wir erfahren, was genau schief gelaufen ist, um zu verhindern, dass sich ein solches Unglück wiederholt.”

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