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Freitag, 19. April 2024
Viel Arbeit, wenig Lohn

Handel für Lehrlinge oft nur 2. Wahl

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 20.11.2014 | |  Archiv
©GPA-djp ©GPA-djp

Einem „Standard”-Bericht zufolge ziehen Österreichs Händler im Kampf um Lehrlinge zunehmend den Kürzeren. Aufgrund unregelmäßiger Arbeitszeiten, vieler Überstunden und Samstagsdienste sowie häufiger Einsätze im Lager und als Regalschlichter statt im Verkauf – und all das für wenig Geld – seien für viele Jugendliche Jobs im Einzelhandel oft nur die zweite Wahl. Insbesondere Lebensmittelketten in größeren Städten drohe der Nachwuchs auszugehen.

Demnach sehen knapp 58 Prozent der Lehrlinge im Handel ihre aktuelle Arbeit nicht als Wunschberuf. Rund 82 Prozent zeigen sich zwar generell mit ihrer Ausbildung zufrieden, dennoch räumen im Detail viele ein, fast nichts oder etwas anderes zu lernen, als sie eigentlich wollten. Sie klagen über wenig Kundenkontakt, da sie großteils im Lager eingesetzt würden, und berichten über ungeplante Mehrarbeit. Das geht aus der jüngsten Umfrage der Gewerkschaft GPA-djp unter 16.330 Lehrlingen in Österreich hervor, an der knapp 13 Prozent teilnahmen, 77 Prozent unter ihnen arbeiten im Einzelhandel.

Unfreiwillige Mehrarbeit
Außer aus dringenden Gründen dürfen unter 18-Jährige hierzulande keine Überstunden schieben, trotzdem tun dies 18 Prozent der unter 16-Jährigen und 54 Prozent der bis zu 18-Jährigen regelmäßig – die Hälfte von ihnen laut eigenen Angaben nicht aus freien Stücken, gut 36 Prozent mitunter auch unbezahlt.
Helmut Gotthartsleitner, Bundesjugendsekretär der GPA-djp, ist überzeugt, dass „viele Junge als Puffer für Dienstplanlücken herhalten“, nicht zuletzt auch, weil der entsprechende Paragraf im Gesetz zahnlos sei.
An mehr als zwei Samstagen im Monat sieht sich ein Fünftel der Jugendlichen arbeiten, mehr als 66 Prozent von ihnen unfreiwillig. Den Mut, dagegen zu protestieren, haben die wenigsten. Gerade auf dem Land seien viele froh, überhaupt eine Lehrstelle gefunden zu haben, so Gotthartsleitner.
Mehr als ein Viertel der Jugendlichen gab an, Angst um die Lehrstelle zu haben. Dass Junge unter 200 Lehrberufen wählen können, ist aus Sicht des Gewerkschafters leichtfertig gesagt, „weil es viele dieser Jobs auf dem Land regional einfach nicht gibt.“

Zweite Wahl
Bettina Lorentschitsch, Obfrau der Bundessparte Handel, stellt das schwache Image ihrer Branche nicht in Abrede. „Der Handel ist gerade in den Städten oft nur die zweite Wahl. Und wir haben viele Schulabbrecher, die nichts anderes finden.“ Auch individuelle Prämien können über das schlechte Image nur bedingt hinwegtrösten. Für den Handel spreche aber, dass das Gros der Jugendlichen in den Lehrbetrieben bleibe. Zudem biete der Handel an sich eine breite Palette an Berufen.
Lorentschitsch sieht in den Klagen gegen unbezahlte Überstunden und unfreiwillige Samstagsarbeit kein System, sondern Einzelfälle – der Aufforderung, diese konkret aufzuzeigen, sei die Gewerkschaft bisher nicht gefolgt.

Ausbildner auf dem Prüfstand
Zwei Jahre lang haben die Sozialpartner an einem neuen Berufsbild im Handel gearbeitet, das kommenden März verordnet werden soll. Lehrlinge sollen künftig etwa verpflichtend Englisch und mehr Sozialkompetenzen lernen: von Kommunikations-Know-how über Konfliktmanagement bis hin zum richtigen Verhalten bei Überfällen.

Ein entsprechender Leitfaden wird demnächst über die Betriebe ausgerollt. Lorentschitsch sieht darin einen großen Schritt nach vorn. Gotthartsleitner hofft, dass die Aufwertung tatsächlich in der Praxis bei den einzelnen Filialen ankommt. Seinen Erfahrungen nach gehörten Ausbildner alle fünf Jahre überprüft, gerade auch dann, wenn in Unternehmen die Eigentümer wechseln. „Es gibt genug Vorschriften und keine Notwendigkeit für neue Kontrollen“, entgegnet Lorentschitsch.

Stadt-Land-Gefälle
Österreichs Handel zählte 2013 gut 18.000 Lehrlinge, um 1000 weniger als 2009. Aktuell meldet das Arbeitsmarktservice in den Bereichen Handel und Verkehr 485 offene Lehrstellen. Wobei Lorentschitsch ein starkes Stadt-Land-Gefälle ausmacht: „In Wien suchen viele Betriebe händeringend Lehrlinge.“ Auch in Salzburg gebe es mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende.
Die neuaufgeflammte Debatte um Arbeit an Sonntagen macht Jugendlichen den Job im Handel naturgemäß nicht unbedingt schmackhafter: 96 Prozent der Befragten halten nichts davon. Fast die Hälfte würde in diesem Fall auf eine andere Branche umsatteln wollen.

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