Besuchen Sie uns auf LinkedIn
Donnerstag, 25. April 2024
Vorbild Plus Energie Bürohaus an der TU Wien

Ab wann ist ein Gebäude energieeffizient?

E-Technik | Wolfgang Schalko | 07.07.2016 | |  Archiv
Der Energieverbrauch in Gebäuden ist mit einem Anteil von 40 Prozent neben der Mobilität einer der größten Brocken des europaweiten Energieverbrauchs. Alle EU-Staaten sind gefordert, Mindestanforderungen für die Gesamt-Energieeffizienz aller Gebäude gesetzlich festzulegen, diese anzuwenden und mittels Energieausweis nachvollziehbar zu machen – als Vorbild dient das Chemie-Hochhaus der TU Wien, Österreichs erstes Plus-Energie-Bürohochhaus. (©TU Wien/Alexander David)
Der Energieverbrauch in Gebäuden ist mit einem Anteil von 40 Prozent neben der Mobilität einer der größten Brocken des europaweiten Energieverbrauchs. Alle EU-Staaten sind gefordert, Mindestanforderungen für die Gesamt-Energieeffizienz aller Gebäude gesetzlich festzulegen, diese anzuwenden und mittels Energieausweis nachvollziehbar zu machen – als Vorbild dient das Chemie-Hochhaus der TU Wien, Österreichs erstes Plus-Energie-Bürohochhaus. (©TU Wien/Alexander David)

EU-Richtlinien und nationale Gesetze verpflichten zu einer Reduktion des Energieverbrauchs durch Steigerung der Energieeffizienz, die EU-Staaten sind zur Festlegung von Mindestanforderungen angehalten. Zudem müssen ab dem Jahr 2021 alle neuen Gebäude im Niedrigstenergie-Standard („Nearly Zero Energy Building“) – doch eine genaue Definition dieser „Nahe an Null Energie verbrauchenden“-Häuser gibt es bisher nicht.

Was heißt das konkret für die Praxis? Wie können Bauherren und Planer sicher sein, dass sie die Energieeffizienz-Anforderungen auch optimal umsetzen und die energetischen Berechnungen für den Gebäude-Energieausweis korrekt durchführen, um den behördlichen Vorgaben und Kontrollen standzuhalten? Und wie können Konsumenten darauf vertrauen, dass ihr neues oder saniertes Niedrigenergie-, Niedrigstenergie- oder Plus-Energie-Gebäude auch das hält, was Planer oder Makler versprechen?

„Dafür braucht es genau definierte, einheitliche Standards, damit sich Bauherren, Planer, Fachplaner und ausführende Unternehmen richtig verstehen und vom selben Ziel reden“, betont Stefan Wagmeister, Vizedirektor Standards Development und Komitee-Manager bei Austrian Standards. Experten aus der Forschung und Praxis stimmen ihm zu. „Denn nicht immer ist dasselbe gemeint, wenn von energieeffizienten Gebäuden und Niedrigstenergie-Gebäuden geredet wird“, erklärt Universitätsprofessor Thomas Bednar vom Institut für Hochbau und Technologie an der TU Wien.

Photovoltaik am Dach macht noch kein Plus-Energie-Gebäude

„Wenn eine Photovoltaikanlage aufs Haus montiert und elektrische Energie gewonnen wird, heißt das noch lang nicht, dass das ein Plus-Energie-Gebäude ist“, erklärt Bednar. Derzeit klagen auch immer wieder Konsumenten, dass die vom Planer berechneten Energiewerte ihrer energieeffizienten Häuser nicht der Realität entsprechen. „Das kommt daher, dass derzeit in Europa ausschließlich eine standardisierte Nutzung und eine gründliche Ausführung für die Berechnung des Energieverbrauchs herangezogen werden“, erklärt Bednar. „Wichtig ist es aber, in der Beratung auch die tatsächliche Nutzung des Gebäudes – also auch den tatsächlich benötigten Strom für Elektrogeräte – einzubeziehen“.

Zudem beeinflusst der Gebäudenutzer auch durch sein Lüftungs-, Heiz- und Kühlverhalten die Energiebilanz maßgeblich. „Solange es aber keine klaren Definitionen und Parameter zur Berechnung des Gesamtenergieverbrauchs von Gebäuden gibt, wird es Unklarheiten und Abweichungen von Messergebnissen geben“, bringt Bednar die Problematik auf den Punkt. Ein Umstand, der sich vor allem für Planer und Architekten als Stolperstein erweisen kann. Denn wenn der Bauherr mit den energetischen Werten des Gebäudes nicht zufrieden ist, weil er glaubt, dass er nur so viel Energie verbrauchen sollte, wie im Energieausweis angegeben ist, wird er klagen wollen. Rechtssicherheit gibt es nur durch standardisierte Nachweisverfahren. Daher sind normierte Werte als Basis zur Berechnung der Werte für den Energieausweis und auch zur Energieverbrauchsprognose unumgänglich. Für den Energieausweis ist es eindeutig definiert, welche Werte jeder Planer als Basis heranzieht. Bei einer späteren Nutzung schwanken allein die Werte für die eingestellte (für den Bewohner behaglichen) Raumtemperatur zwischen 19 und 25 Grad Celsius in den Wintermonaten und zwischen 23 und 26 Grad Celsius im Sommer. Diese Schwankungsbreite wirkt sich eklatant auf den daraus resultierenden Kühlenergie- bzw. Heizungsenergieverbrauch aus.

Paket an Standards wird überarbeitet

Mit der Umsetzung der EU Gebäuderichtlinie EPBD 1 sind neue Europäische Standards – so genannte EPB-Normen (= Energy Performance of Buildings) entstanden. Dieses Paket dient als Grundlage für die Erstellung von Energieausweisen und wird derzeit überarbeitet, um sie mit den international gültigen ISO-Standards in Einklang zu bringen. Ziel ist es, eine größtmögliche Vergleichbarkeit innerhalb Europas betreffend der Energiekennzahlen (z. B. Primärenergiebedarf PEB, CO2-Emission) in Energieausweisen zu schaffen.

„Wichtig dabei ist es, dass durch Forschung abgesicherte Ergebnisse in die Normung einfließen“, betont Bednar. Der Universitätsprofessor weiß genau, wovon er spricht. Als wissenschaftlicher Projektleiter haben er und sein Team mit der Sanierung des Chemie-Hochhauses der TU Wien Österreichs erstes Plus-Energie-Bürohochhaus entwickelt, das im Vorjahr eröffnet wurde und nun als Demonstrationsobjekt für optimale Energieeffizienz dient. Ein Bürohochhaus als Plus-Energie-Gebäude, das mehr Energie ins Stromnetz liefert, als für Gebäudebetrieb und Nutzung benötigt wird, zu konzipieren, war eine echte Herausforderung und Premiere in Österreich.

„Wir haben in unsere Berechnungen nicht nur Lüftung, Heizung und Kühlung, sondern die gesamte Nutzung miteinbezogen, bis hin zu den Computern und der Kaffeemaschine“, sagt Thomas Bednar. „Vielleicht sollte man also von einem Plus-Plus-Gebäude sprechen.“ Im Jahresmittel kann die gesamte Energie, die in den acht Bürogeschoßen benötigt wird, direkt am Haus gewonnen werden. Dazu ist die wärme-, sonnenschutz- und lichttechnisch optimierte Fassade mit Österreichs größter fassadenintegrierter Photovoltaikanlage versehen. „Das Spannende an diesem Projekt war der interdisziplinäre Planungsprozess, an dem die Fachkompetenz aus Wissenschaft und Industrie eng zusammengearbeitet haben. Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus diesem Projekt geben wir nun an die Gesellschaft weiter, unter anderem in dem wir sie in die Entwicklung von Standards einfließen lassen“, resümiert Bednar. Für die TU Wien gilt das Projekt Plus Energie Bürohaus aber bereits jetzt als Standard für kommende Projekte und Bauvorhaben.

Diesen Beitrag teilen

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.

An einen Freund senden