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Freitag, 19. April 2024
Über 20 Jahre steinigen Weg zu elektro.at

Zum Erfolg gescheitert

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 16.09.2018 | Bilder | | 2  Archiv

Wenn es das Scheitern und die Krise nicht gäbe, dann wäre dem Fortschritt wohl die wichtigste Basis entzogen. Das ist eine der grundlegendsten Lehren, die ich aus 25 Jahren Berufsleben ziehen durfte. Über manche Dummheiten und Fehler kann ich zwar rückblickend nur den Kopf schütteln, aber sie haben mich dorthin geführt, wo ich heute bin. Und das ist gar nicht mal so übel. Allerdings, und das kann gar nicht oft genug betont werden, musste ich mich immer wieder der schmerzlichen Erkenntnis stellen, dass ich Mist gebaut hatte. Nicht „die Anderen”, sondern ich ganz alleine. So hart das auch manchmal war, war es für den späteren Erfolg unabdingbar. Sonst wäre wohl nur der Schaden geblieben, ohne den geringsten Nutzen. Die Geschichte von elektro.at– ursprünglich „E&W Online” – scheint mir beispielgebend dafür.

Während meines ersten Jobs bei Alcatel 1994 als frischgebackener Informatiker hatte ich einen Kollegen noch herzhaft ausgelacht, als der sich für den ersten Web-Browser namens Mosaic auf kindliche Art begeisterte und von den „tollen Möglichkeiten dieser Technologie” schwärmte. Darauf bin ich nicht stolz, auch wenn ich nicht der einzige war, der sich über dieses „lächerliche Web-Browser-Ding” lustig gemacht hatte.

Mitte der 90er Jahre arbeitete die E&W-Redaktion noch ausschließlich im gemütlichen Monatstakt und was zwei Wochen vor Erscheinen des Magazins nicht fertig beim Grafiker gelandet war, konnte man vergessen. Das würde erst einen Monat später erscheinen. Gekratzt hat das damals niemanden – Geschwindigkeit ist eben relativ

Es dauerte bis 1997 als mir klar wurde, dass eine Redaktion, die für sich in Anspruch nahm, die führende Elektrofachzeitschrift des Landes zu produzieren, auch eine „Homepage” haben musste. Aber nicht nur das, diese „Homepage” sollte mit tagesaktuellen Nachrichten befüllt werden und E&W-Leser täglich über wichtige Ereignisse unterrichten.

Die wertvolle Domain „elektro.at” hatte ich ein Jahr zuvor erstanden. Zunächst mehr aus einer Laune heraus, konkrete Pläne hatte ich noch nicht. Jetzt war ich ausgezogen, „E&W Online” zu einem unverzichtbaren Instrument der Branche machen. Soweit die Theorie. 

Die Kindesweglegung ließ nicht lange auf sich warten. Mir ging alles zu langsam, das Printmagazin flog von Erfolg zu Erfolg, E&W Online verschlang bloß redaktionelle Ressourcen und brachte nicht viel. Die Branche war einfach noch nicht so weit.

Also betrieben wir den „tagesaktuellen” Newsdienst rückblickend betrachtet ziemlich lieblos (vermutlich müsste man eher von Wochenaktualität sprechen) und konzentrierten uns weiter auf das gute alte Printprodukt. Das war ein großer Fehler. Aber da die ganze Branche internetmäßig friedlich schlummerte, fiel das zunächst nicht weiter auf.

Solange jedenfalls, bis Werner Deutsch Mitte 2003 von uns zum Mittbewerb wechselte und dort sein Heil im Internet suchte. Ich weiß nicht, ob das Kalkül war oder bloß Instinkt, aber es funktionierte. Der Deutsch ließ uns Pioniere online ganz schön alt aussehen. Das wurde mir irgendwann Mitte 2004 schlagartig und sehr schmerzhaft bewusst.

Ich musste mir eingestehen, wertvolles Terrain aus erfolgsverwöhnter Ignoranz verschenkt zu haben. Nach einer Phase der Selbstgeißelung überlegte ich fieberhaft, wie ich den Karren aus dem Dreck ziehen konnte. Das Ergebnis: E&W Online wurde komplett umgebaut und die Aktivitäten im Netz fortan zum fixen Bestandteil der Redaktionsarbeit. So richtig in die Gänge kamen wir erst 2005 – ich will das gerne zugeben.

Danach folgte ein – zunächst desaströserRelaunch, der für Mitte 2007 geplant war, sich aber bis in den Dezember zog. Ich drohte dem Programmierer am Telefon, hielt unzählige Besprechungen ab, schrieb böse Briefe – es passierte wenig.

Derweil wurde unsere Seite von einer Spam-Welle überschwemmt und „E&W Online” war drauf und dran zur Lachnummer der Branche zu werden. Und das, obwohl in der Konzeption der neuen Version enorm viel Gehirnschmalz steckte und es funktionsmäßig die modernste Seite der Branche im deutsprachigen Raum sein würde. Wenn sie denn jemals fertig wäre…

Dem Entwickler schrieb ich einen verzweifelten Brief: „…Ich kann Ihnen nicht richtig böse sein, weil Sie sympathisch sind und einen guten Schmäh haben. Vielleicht sollte ich Ihnen dafür böse sein, dass ich Ihnen nicht böse sein kann… Jeden anderen hätte ich längst geteert, gefedert und anschließend mit einem Betonblock beschwert in die Donau gekippt. Jedenfalls müssen wir am 1.12. ins Netz – da gibt es keinen Aufschub mehr. Sonst schicke ich Ihnen meine Frau. Und glauben Sie mir: Die ist eine wahre Meisterin im Bösesein.”

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich es aufgegeben, mit Auftragsentzug und rechtlichen Sanktionen zu drohen. Der Programmierer versicherte mir immer wieder, dass er großes Verständnis für meine Verärgerung hätte – ich lief gegen eine Gummiwand. Mitte Dezember 2007 gingen wir dann – endlich(!) – völlig neu gestaltet ans Netz und das Werkl lief so, wie wir das von E&W gewohnt waren: wie geschmiert Richtung Marktführerschaft.

Inzwischen sind 11 Jahre vergangenelektro.at hat sich längst zum Online-Leitmedium der Branche entwickelt, wurde mehrmals komplett überarbeitet und informiert die Branche jeden Tag verlässlich mit aktuellsten Meldungen – ca. 1.400(!) pro Jahr. Stillstand gibt es keinen mehr. Im Gegenteil: Um die Führungsposition weiter auszubauen, arbeiten wir mit Hochdruck am umfassendsten Relaunch aller Zeiten.

Die Chronik von elektro.at steckt zwar voller Irrtümern, ist am Ende aber eine schöne Erfolgsgeschichte, auf die wir sehr stolz sind. Eine Geschichte, die sich über die vergangenen 20 Jahre zwar nicht immer in eine Richtung, aber mit klarem Trend deutlich nach oben entwickelte. Über die vielen Fehler, die ich gemacht habe, schmunzle ich heute gerne. Missen möchte ich sie nicht.

Bilder
Unter diesem Logo wird sich der Online-Auftritt von E&W bald emanzipieren. Die Änderung kommt zusammen mit einem großen Relaunch – allerspätestens Anfang 2019
Unter diesem Logo wird sich der Online-Auftritt von E&W bald emanzipieren. Die Änderung kommt zusammen mit einem großen Relaunch – allerspätestens Anfang 2019
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Kommentare (2)

  1. Damals(!) war E&W Online chancenlos

    Lieber Andreas,
    ich hatte einfach nur Massel! Weshalb, weißt Du doch sicher noch: Weil der Internet-Auftritt bei besagtem Mitbewerb damals weitaus mehr kreative Möglichkeiten bot als E&W Online. Wofür ich freilich erst mal hausinterne „Recherchen“ anstellen musste, weil diese Möglichkeiten ja nicht annähernd ausgeschöpft wurden! Kaum war mir das klar, setzte ich – mit Christian Lanners tatkräftiger Unterstützung – alle Hebel in Bewegung, zumal zu diesem Zeitpunkt die Futura 2003 kurz bevorstand. Sogar noch am Abend vor der Messe-Eröffnung veröffentlichten wir auf „unserem“ Online-Portal die jüngsten Produktneuheiten. Zahlreich und groß illustriert! Dem konnte das E&W-Team seinerzeit eben nichts entgegensetzen. Dass Du Euren Programmierer nicht wirklich geteert und gefedert hast, verblüfft mich daher bis heute. Nur gut, dass ich nicht an Deiner Stelle war. Ich würde wahrscheinlich immer noch im Häfen sitzen…
    Ganz liebe Grüße vom alten Deutsch

    1

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