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Freitag, 29. März 2024
Hot!Peiniger der Kurzsichtigen

Es lebe der Widerspruch!

Hintergrund | Andreas Rockenbauer | 20.06.2016 | | 5  Archiv

Ein Unternehmen, das Mitarbeiter zuerst mundtot macht und anschließend zu Motivations-Seminaren schicken will, weil sie Fehler (samt Lösungsvorschläge!) aufzeigen? Widerspruchsverbot per Verordnung sozusagen? Ja, das gibt es tatsächlich. Für die Kurzsichtigen ist er der Teufel, der vertrieben gehört, für die Cleveren, ein Mittel um gescheiter zu werden. Für mich ist er der Brennstoff, der uns besser macht.

Es gibt etwas, das Mathematiker mit schwachen Konzernmanagern und ebensolchen Unternehmern verbindet. Nein, es ist nicht die Angst vor der Subtraktion. Es ist jene vor dem Widerspruch. Mit dem wichtigen Unterschied, dass Mathematiker, so gefährlich der Widerspruch für ausbalancierte Theoriegebilde auch sein mag, hin und wieder einen teuflischen Pakt schließen und mit seiner Hilfe ganz gefinkelte Beweise führen. Sie zähmen den Widerspruch also und hauen sich mit ihm kurzfristig auf ein Packerl – das trennt clevere Mathematiker von schwachen Konzernmanagern und Unternehmern dann doch wieder recht deutlich.

Auf den ersten Blick verheißt das Wort „Widerspruch” ja tatsächlich nichts Gutes, droht es doch mit diesem latent aggressiven Präfix – dem hässlichen „wider” –, das sich trotzig gegen all das stellt, was danach kommt. Denken wir etwa an den Widerwillen, den Widerstand, den Widersinn, das Zuwiderlaufen, die widrigen Umstände oder den Widerling. Das „wider” drückt schlicht einen Gegensatz aus – sagt der Duden.

Ich möchte jetzt eine kurze Geschichte erzählen, die erstens verbrieft ist und von der ich zweitens fürchte, dass sie sich tagtäglich hundertfach wiederholt. In allen Branchen, in vielen Unternehmen:

Es war auf einer Vertriebstagung, auf der ein sehr erfolgreicher, erfahrener und unheimlich engagierter Vertriebsmitarbeiter vor der versammelten Mannschaft bis hinauf zu Bereichsleitung und Geschäftsführung über die Performance der vergangenen Monate referierte. Und weil die Verkaufszahlen insgesamt zwar stabil gut, punktuell aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren, sprach der Vertriebsmann einige, seiner Meinung nach essenzielle Probleme in Produktmanagement, Service und bei einigen Vertriebsprozessen an. Der gute Mann hatte sich akribisch auf seine Präsentation vorbereitet, ließ viele Anregungen von Kunden in seine Überlegungen einfließen und lieferte zu jedem Problem sofort eine passende Lösung. Soweit schien alles gut. In der Pause nach dem Referat wurde dem Vertriebsmann von Kollegen gratuliert – und auch der Vertriebsleiter bedankte sich bei seinem Mitarbeiter für die gute Arbeit.

Einen Tag später war alles ganz anders. Der Vertriebsmitarbeiter wurde zu seinem Vorgesetzten zitiert (der seinerseits zuvor eine ernste Unterredung mit dem „Business Unit-Manager” hatte) und von diesem dann darüber aufgeklärt, dass er es in Zukunft zu unterlassen habe, von „Problemen“ zu sprechen. Im Unternehmen gäbe es per Sprachregelung(!) keine „Probleme”, man habe höchstens „Herausforderungen” zu bewältigen. Und zweitens sei ihm von Geschäftsführung und Bereichsleitung aufgetragen worden, den Mitarbeiter auf ein Motivationsseminar zu schicken, weil es an letzterer ja ganz offensichtlich mangle. „Du bist zu negativ”, habe der Vertriebsleiter zu seinem Mitarbeiter gesagt und angemerkt, dass dessen destruktive Einstellung bereits bis hinauf zur Geschäftsführung registriert worden sei und man ihn daher wieder „auf den richtigen Kurs” bringen müsse, um die Motivation der Mannschaft nicht zu gefährden.

Auf meine Frage, ob der Angesprochene da nicht in hysterisches Lachen ausgebrochen sei angesichts der Absurdität der Vorwürfe, verneinte mein Informant und erzählte, dass der Mitarbeiter nach außen hin gute Miene zu dieser Blödheit gemacht habe, weil im Unternehmen solches mittlerweile an der Tagesordnung stehe. Gegenüber seinen Kollegen habe er allerdings verlautbart, dass ihm die Firma ab nun den Buckel runterrutschen könne und er nur mehr Dienst nach Vorschrift mache. Jetzt sei tatsächlich eine Motivationsschulung notwendig. Die wenigsten würden sich mittlerweile trauen, – so mein Informant – konstruktive Kritik zu üben, weil das vom Management nicht gerne gesehen werde. Es habe sich ein Fatalismus unter den Mitarbeitern breit gemacht, der darin gipfle, dass man den Vorgesetzten ganz prinzipiell nur geschönte Nachrichten übermittle, weil schlechte immer auf den Überbringer zurückfielen.

Aus vielen Erzählungen weiß ich, dass das kein Einzelfall ist. Sind es im Allgemeinen Konzernstrukturen, die zur Bildung von hausverstandsfreien Zonen neigen und daher auch zu diversen Aberwitzigkeiten, so sind es im Fall der fehlenden Kritik-Kultur auch viele kleine und mittelständische Unternehmen, in denen Mitarbeiter Schwierigkeiten totschweigen, damit sich Chef (oder Chefin) nicht auf den Schlips getreten fühlen.

Der Effekt ist, dass sich die verschwiegenen Probleme im Hintergrund aufbauen und, wenn sie dann irgendwann doch hervorbrechen, oft bereits eine Dimension erreicht haben, die nicht mehr bewältigbar ist. Während die Auswirkungen bei kleineren Unternehmen existenzbedrohend sein können, liegt das Problem bei Konzernorganisationen in sinkender Effektivität durch die innere Kündigung von Mitarbeitern und darin, dass im Management Entscheidungen auf der Basis völlig falscher Daten und unter falschen Voraussetzungen getroffen werden.

Es gibt wohl nur eine Situation, bei der unbedingter Gehorsam den Vorgesetzten gegenüber jeglicher Kritik vorzuziehen ist: auf dem Schlachtfeld. Aber Unternehmensführung ist nicht Kriegsführung und Vorgesetzte sind keine Offiziere. Wenn es einem Unternehmen gelingt, Kritik zu einem von allen geschätzten Teil der Unternehmenskultur zu machen, sich bewusst der positiven Kraft des Widerspruchs zu bedienen, dann hat dieses einen entscheidenden Vorteil gegenüber jenen, in denen das Management nur mit Schönwetterdaten versorgt wird, obwohl es draußen regnet, schneit oder gar hagelt.

Es ist kein Zufall, dass einer der größten Philosophen aller Zeiten, der verschrobene Hegel, im kultivierten Widerspruch, der sogenannten Dialektik, in der die Gegenüberstellung von These und Antithese stets zu etwas Neuem, der Synthese führt, das allesbestimmende Element unseres Geistes und der Welt im Allgemeinen erkannt hat.

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Kommentare (5)

  1. Der das Geld hat schafft an oder der der oben sitzt

    Leider lassen sich die Führungskräfte nicht immer von rationalem Denken lenken,
    vielmehr sind es die Befindlichkeiten welche zu Entscheidungen führen die nicht verstanden werden.
    Bleibt nur noch der Schluss, der der das Geld hat schafft an und entscheidet selbst ob es mehr oder weniger wird das Geld.

  2. Bestätigung

    Ich empfehle das Buch „Die Narzissmusfalle“ von Haller. Hier widerspiegelt sich die komplette Branche. Naja, wie ein Narzisst sich umbringt wissen wir ja. Er steigt auf sein EGO und springt runter.

  3. Ein wahres Wort

    Das ist leider die brisante Wahrheit.
    Genau dieses Verhalten hochbezahler „Manager “ hat mich meinen Job gekostet
    Diese Geschichte ist eine Analogie zu Meiner Geschichte nur wurde ich dann mit einigen Kollegen restrukturiert. In einem ATX Konzern

  4. Den Widerspruch unterstreichen

    Die Wahrheit dieses Vorfalls und ähnlicher muss nicht in Frage gestellt werden. Man muss vielleicht die Zusatzfrage stellen: Warum verhalten sich Führungskräfte so gegenüber Mitarbeitern? Die simple Antwort ist: Es ist die Angst vor dem eigenem Versagen, praktisch den Führungsanspruch zu verlieren oder von einem Mitarbeiter der Dummheit überführt zu werden. Darum müssen Mitarbeiter klein gehalten werden. Aber nicht vergessen – das impliziert die Herde ist nur noch so intelligent wie deren Anführer, der vor lauter Taktieren und Politik den Wolf nicht sieht. Und die Schafe bleiben beim Angriff schön brav mit dem Kopf im Gras, denn gekündigt haben sie ihm eh schon!

  5. Ein wahres Wort

    Das ist leider die brisante Wahrheit.
    Genau dieses Verhalten hochbezahler „Manager “ hat mich meinen Job gekostet
    Diese Geschichte ist eine Analogie zu Meiner Geschichte nur wurde ich dann mit einigen Kollegen restrukturiert. In einem ATX Konzern

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